Sie machen das:
Die leisen Wunder
Nach wie vor begleite ich auch schwere Einsätze aus der Ferne. Zeitweise zumindest. So auch am Montagmorgen. Der Verkehr bewegte sich bereits in noch schläfriger Frühe etwas zögerlich. Man spürte den Woche für Woche wandernden Truck. Von Ost nach West, von West nach Ost. Zwischen beiden Richtungen liegen die Tage von Dienstag bis Donnerstag. Europas Billiglohnländer liegen längst erkannt im Osten der Gemeinschaft. Von dort aus starten fühlbar unendlich viele Laster mit ebenso unendlich viele Ware. Was da genau transportiert wird, entzieht sich auch den intensivsten Beobachtern. Selbst der Zoll muss hier und da Stichproben machen, mit für uns unbekannten Ergebnissen.
Die Baustelle zwischen dem Dreieck Spreeau und dem Schönefelder Kreuz. Immer wieder kracht es hier. Mal in die eine Richtung, mal in die Andere. Mal leicht, mal schwer. Das, was vorhersagend sein könnte, ist dabei nicht immer zuverlässig, zum Glück. Viele wissen um den auflaufenden Rückstau, nehmen Acht, nehmen Rücksicht. Viele, aber nicht alle.
Kurz vor sechs Uhr in der Früh. Jemand erzählt über einen Vorfall. Ersthelfer seien auf der Fahrbahn. Minuten später die Warnmeldung der Polizei. Ein Unfall. Höhe Ukleysee auf der BAB 10. Zwei Minuten nach Sechs begann sie, die Begleitung eines der schwersten Verkehrsunfälle in der Region. Man wusste bereits um Schwere. Vier Laster seien betroffen. In einem kämpfte ein Lenker darum, aus der eisernen Umklammerung eines gnadenlosen Führerhauses befreit zu werden. Was aber genau passiert sei, entzog sich zu diesem Zeitpunkt jenen, die auf den Knopf schnellster Hilfe drücken mussten.
Alarm für die Einsatzkräfte. Die Richtung war noch abgefragt worden, zu nahe der tödliche Unfall vergangener Tage, bei dem ein Rollstuhlfahrer ums Leben kam. Damals waren sie in die falsche Richtung geschickt worden, brauchten zu lange, um rechtzeitig vor Ort zu helfen. So was passiert dann, geben Meldende nichts Korrektes an. Da sind die Schicker machtlos, fast machtlos. Diesmal war aber alles korrekt. Die Frauen und Männer der Freiwilligen aus Friedersdorf, sie kommen aus Richtung, sind die Nächsten. Mit ihnen Kräfte aus Spreenhagen und Storkow. Mittlerweile eingespielt decken sie sehr erfolgreich Hilfsbedürfnisse auf der Autobahn im eigenen Bereich ab. Die Ortsnächsten waren zuerst da. Eingeklemmt. Bestätigte sich. Sichtung der Einsatzstelle, anderes Fahrzeug, zweiter Eingeklemmter. Es kam nicht nur auf Minuten an, sondern auch auf genügend Einsatzkräfte und -mittel. Für eine Rettung aus einer Lasterkabine ist man immer gut gerüstet. Doch für Zwei reicht es bei einer Feuerwehr dann kaum noch. Segensreich, wer um gute Mitstreiter aus der Nachbarfeuerwehr weiß. Friedersdorf half dem Einen, Spreenhagen und Storkow kümmerte sich um den Anderen. Noch mehr Power deckten die Rendezvous-Wehren ab. Diesmal Königs Wusterhausen. Es geht um das Material der Rüstwagen. Schwere Arbeitsmittel, die gerade bei Laster-Rettungen so wichtig sind. Und nicht nur das Material, auch jene, die ständig daran geschult sind, die Geräte auch fehlerfrei bedienen können, sie sind vor Ort von unschätzbarem Wert.
Mit dabei, leider immer vernachlässigt, es sind die Kräfte der Rettungsdienste. Notfall- und Rettungssanitäter, Ärzte, sie sind bereits während der Feuerwehrmaßnahmen Schulter an Schulter mit den technischen Rettern, um sofort zur Stelle zu sein, wird es medizinisch eng. Ich habe es so oft erlebt, wie diese Symbiose optimalster Hilfe wirkt. Der Patientenschutz gilt auch bei mir, niemals werden Details beschrieben. Doch muss ich es erwähnen: Nur so hat das Überleben eine reale Chance.
Sie hatten fast alles an Technik der Hilfe in Betrieb. Anwesende bezweifelten einen Erfolg, doch das, was unterm Strich rauskam, überraschte alle: Zweimal eingeklemmt, zwei Mal gerettet. Mit teilweisen schwersten Verletzungen, aber lebend übernahm der Rettungsdienst das Weitere. Tabubereich, auch hier im Wissen um Details.
Unbemerkt organisierte er bereits das, was danach kam. Der Chef der Autobahnmeisterei Erkner war fast zeitgleich am Einsatzort. Wichtig, denn das, was nach der Rettung kommt, braucht seine Vorbereitung. Bergen, aufräumen, säubern. Damit Stunden später Andere den Bereich passieren, der nichts mehr preis von dem gibt, was dort gerade passierte. Eigentlich schade, ist die präventive Wirkung schlimmster Eindrücke doch auch schulend. Falsch verstanden hatten dies Passierende aus dem Gegenverkehr. Man bremste, um ja alles mitzubekommen. Mit fast absoluter Sicherheit dürfte der Eine oder Andere verbotener Weise schnell Fotos geschossen haben. Eins ist sicher: Sehe ich sie im Netz, erfolgt eine Strafanzeige. Das bin ich den Verunfallten schuldig.
Sportlich das erste Statement nach Ende der Rettungsmaßnahmen. Man meinte, bis zehn Uhr am Montagmorgen fertig zu sein. Mit allem. Meine Prognose traf eher zu. Nachmittags um 15 Uhr hieß es: Bahn frei. Jemand, der eigentlich andere Aufgaben abdecken wollte, zeigte sich froh, nun alles geschafft zu haben. Zu viel hatten die zerquetschten Laster verloren. An Betriebsmittel. An Bauteilen. An Blech, Plastik, Glas. Sache der Bergung, ein Guter war auch vor Ort. Mit den Anderen, um die es still geworden ist. Still heißt aber nicht gleich gut, man arbeitet gerne abseits möglicher Beobachter. Geld stinkt nicht, auch wenn es Gestank hinterlässt.
Ich denke an die Freiwilligen. Sie kamen, halfen, waren erfolgreich. Weil diesmal auch die Bedingungen stimmten. Rechtzeitiges Kommen sichert beste Plätze, auch erfolgssteigernd im Einsatz. Und trotzdem bleibt der fade Nachgeschmack. Denn seit Jahren bemängle ich die Beschickung unserer Autobahnen rund um das Schönefelder Kreuz, bin erschrocken, wie gleichgültig man mit meinen Anmerkungen umgeht. Bis nun mal vor Kurzen, wo ein Rollstuhlfahrer sein Leben ließ, nur wenige Meter nahe der jetzigen Einsatzstelle. Damals nämlich blieben jene zuhause, die heute zwei Lasterfahrern das Leben retteten. Ich will nicht unken, hätte auch vor einigen Wochen klappen können, wären sie geholt worden. Denn der Rendezvous-Vorteil galt bereits damals.
Ich sage Danke. An die Einsatzkräfte der Feuerwehren aus Friedersdorf, Spreenhagen, Storkow, Königs Wusterhausen und Niederlehme. Ich verbeuge mich vor euch, im Wissen um das, was Ihr da geleistet habt. Im Wissen darum, dass Nächste nicht um Tote trauern müssen. Im Wissen darum, das vor Ort auf höchstem Niveau alles geleistet wurde, was nur irgendwie ging. Prima gemacht, Ihr seid die Besten. Der Dank gebührt auch jenen, die danach halfen. Leise, aber wirkungsvoll. Ärzte mit Notfall- und Rettungssanitäter vergisst man immer wieder, weil zwischen dem Geschehen und der Hilfe verschlossene Türen sind. Und genau das ist auch gut so.
Danke aber auch jenen, die danach aufräumten. Eine irre Arbeit, für die Andere Tage gebraucht hätten.
Ich habe das Versprechen abgegeben: Geht Corona, bin ich wieder mit dabei. Um euch meine Dankbarkeit unter Beweis zu stellen. Um aber auch dort zu helfen, wo ich es kann. Sei es auch nur, um zuzuhören, zu trösten, mitzufühlen.